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Meinung Umfragen

Der große Schwindel mit der Kinderarmut

Reporter
Kinderarmut Kinderarmut
1960 lebte jedes 75. Kind „in Armut“, heute ist es jedes fünfte. Das sagt zumindest das Deutsche Kinderhilfswerk
Quelle: dpa
Je besser es Deutschland geht, umso bedürftiger fühlt es sich. Früher galt jedes 75. Kind als arm, heute soll es jedes fünfte sein. Unerträglich! Da hilft nur mehr Geld, also Steuererhöhung.

Stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten es sich gerade auf dem Sofa gemütlich gemacht, auf der einen Seite einen großen Campari Soda, auf der anderen einen Stapel „Zeit“-Magazine aus den 90er-Jahren, die Sie schon immer lesen wollten.

Da klingelt es an der Tür. „Na endlich“, denken Sie, denn Sie haben vor einer halben Stunde eine Ente süß-sauer in der „Goldenen Dschunke“, Ihrem Chinesen um die Ecke, bestellt. Vor der Tür steht aber nicht Pin-Li, der Sohn des Chefs, sondern ein junger Mann, der sich als Mitarbeiter eines Meinungsforschungsinstituts vorstellt.

Er fragt, ob er Ihnen ein paar Fragen stellen könnte. Eigentlich haben Sie keine Lust, aber der junge Mann erinnert Sie an Ihren ältesten Neffen, der sich sein Studium mit etwas Ähnlichem verdient hat. Also sagen Sie: „Kommen Sie rein, junger Mann!“ „Sehr freundlich“, sagt der, „es wird nicht lange dauern.“

Zuerst möchte er wissen, wie lange Sie schon in Ihrer Wohnung wohnen, ob Sie mit den Nachbarn zurechtkommen und ob Sie schon mal daran gedacht haben, aufs Land oder in eine Senioren-WG zu ziehen. Es sind die üblichen Aufwärmfragen.

Nein, ich will kein asoziales Ekel sein

Dann kommt er zur Sache. Ob Sie für oder gegen die Einführung einer Mautgebühr auf den Autobahnen sind? Eigentlich ist Ihnen das egal, denn Sie haben weder ein Auto noch einen Führerschein, aber wenn Sie schon mal gefragt werden ... „Dafür!“, sagen Sie, denn erst gestern haben Sie einen Bericht in der „Tagesschau“ gesehen, in dem es darum ging, dass in Frankreich und Italien das Fahren auf der Autobahn gebührenpflichtig ist.

„Und sind Sie dafür oder dagegen, dass Temposünder härter bestraft werden?“ – Natürlich sind Sie dafür. „Wir sind fast durch, nur noch eine letzte Frage“, sagt der junge Mann, „wären Sie bereit, höhere Steuern zu zahlen, um damit den Kampf gegen die Kriminalität zu finanzieren?“ Was für eine Frage! Wenn Sie jetzt Nein sagen, stehen Sie als asoziales Ekel da.

Da fällt Ihnen ein, dass Sie eigentlich keine Steuern zahlen, weil Sie eine Rente beziehen. Also sagen Sie: „Ja, natürlich!“ „Das wäre es dann“, sagt der junge Mann, „vielen Dank, dass Sie mitgemacht haben.“

Drei Tage später lesen Sie in Ihrer Lokalzeitung, mehr als die Hälfte aller Deutschen sei für die Einführung einer Maut und für eine härtere Bestrafung von Tempo-Sündern; zwei von drei Deutschen seien bereit, mehr Steuern zu zahlen, um den Kampf gegen die Kriminalität zu unterstützen.

Meinungsumfragen schnell mal am Telefon

Sie glauben nicht, dass Meinungsumfragen so zustande kommen? Stimmt. Die Chance, dass eines Tages ein junger Mann mit einem Fragebogen in der Hand vor Ihrer Tür steht, ist sehr gering. Viel wahrscheinlicher ist, dass Sie angerufen werden. Das geht schneller und kostet weniger.

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Außerdem müssen Sie keine „Hemmschwelle“ überwinden, wie bei Face-to-Face-Interviews, und es spielt keine Rolle, ob Sie den Interviewer sympathisch finden oder nicht. Aber alles Übrige spielt sich wie beschrieben ab.

Gerade gab das Deutsche Kinderhilfswerk das Ergebnis einer Studie bekannt, wonach in Deutschland 2,8 Millionen Kinder „in Armut“ leben würden. Zeitgleich mit dieser Studie wurde eine Umfrage vorgestellt, wen die Bundesbürger für diesen Missstand verantwortlich machen und was man dagegen unternehmen könnte.

Drei von vier Deutschen waren der Meinung, die „Politik“ würde sich des Themas nicht ausreichend annehmen. Zwei von drei erklärten, sie wären bereit, mehr Steuern zu zahlen, wenn damit die Kinderarmut eingedämmt werden könnte.

Nicht die Armut abschaffen, sondern ordentlich verwalten

Nun ist das Deutsche Kinderhilfswerk eine kleine Organisation mit etwa 30 hauptamtlichen Mitarbeitern und einem überschaubaren Budget von rund 2,5 Millionen Euro, das sich aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen, eigenen Einnahmen und Zuschüssen der öffentlichen Hand zusammensetzt.

Das DKHW ist aber auch Teil einer gigantischen Armutsindustrie, die jedes Jahr Milliarden umsetzt, nicht, um die Armut abzuschaffen, sondern um sie zu verwalten. Nur so ist ein paradoxes Phänomen zu erklären: Je besser es den Deutschen geht, umso mehr breitet sich die Armut aus.

1960, also vor mehr als 50 Jahren, lebte jedes 75. Kind „in Armut“, heute ist es jedes fünfte, sagt das Deutsche Kinderhilfswerk und legt noch eine Info nach: Die Zahl der armen Kinder verdoppele sich alle zehn Jahre.

Eine Behauptung, die angesichts der zahllosen Maßnahmen zur Familienförderung des Bundes, der Länder und der Gemeinden von 200 Milliarden Euro jährlich allen Regeln der Logik zu widersprechen scheint.

Es geht nicht um Armut, sondern um Verwahrlosung

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Die Frage drängt sich auf, ob die Kinderarmut, beziehungsweise die Armut an sich, trotz oder gerade wegen der immensen Mittel, die zu ihrer Bekämpfung aufgewendet werden, immer größer wird. Mittlerweile sind 15% aller Deutschen von Armut „bedroht“.

Könnte es sein, dass die Subventionierung von Armut immer mehr Armut erzeugt, ähnlich wie die Subventionierung von Milch und Butter immer größere Milchseen und höhere Butterberge erzeugt hat?

Es ist bemerkenswert, mit welcher Nonchalance von „Armut“ geredet wird, als wäre sie ein Mode-Label, das vermarktet werden muss. Wer schon mal in Indien oder auch nur in Rumänien war, kann darüber nur staunen.

Und wer Lehrer kennt, die es täglich mit Kindern zu tun haben, die ohne Frühstück, ungewaschen und schlampig angezogen zur Schule kommen (beziehungsweise dem Unterricht fernbleiben), der könnte auf die Idee kommen, dass „Armut“ der falsche Begriff ist, dass es „Verwahrlosung“ heißen muss.

Verwahrlosung ist Rücksichtslosigkeit gegen andere

Für den engagierten Sozialarbeiter mag das kein großer Unterschied sein, aber es handelt sich um mehr als eine semantische Spielerei. Armut kann überwunden werden, der Sohn einer Putzfrau, der es zum Bundeskanzler gebracht hat, ist dafür das beste Beispiel.

Verwahrlosung dagegen ist eine Art zu leben, eine Form der Rücksichtslosigkeit gegenüber sich selbst und anderen, die vor allem im Wohlfahrtsstaat gedeiht, der es sich zur Pflicht gemacht hat, „niemanden zurückzulassen“ und alle mitzunehmen, auch diejenigen, die es nicht möchten.

Familiäre Verwahrlosung kann nur bekämpft werden, indem man den Eltern das Erziehungsrecht entzieht, nicht indem man einen Lebensstil subventioniert, der auf sozialpädagogische Eingriffe so reagiert wie Buschfeuer auf Windböen.

In diesem Zusammenhang die Idee in den Raum zu stellen, man könnte der Kinderarmut mit höheren beziehungsweise zusätzlichen Steuern, einer „Armutsabgabe“, beikommen, ist mehr als Populismus, es ist Falschmünzerei.

Steuern sind grundsätzlich nicht zweckgebunden – weder die Lohn- und Einkommensteuer noch die Gewerbesteuer, die Tabaksteuer, die Sektsteuer und die Hundesteuer, die mitnichten dazu erhoben wird, den Bau und den Unterhalt von Tierheimen zu finanzieren.

Es soll noch Autofahrer geben, die glauben, dass die Kraftfahrzeug- und die Mineralölsteuer dem Ausbau der Straßennetzes zugute kommen. Wie bei allen Glaubensfragen ist jeder Widerspruch zwecklos. Und wenn es um arme Kinder geht, greift sich auch der schlimmste Geizkragen zuerst ans Herz und dann in die Tasche.

Ein prima Versuchsballon für Steuererhöhungen

Aber vielleicht geht es gar nicht um die Not der Kinder. Vielleicht war das Ganze nur ein Versuchsballon, wie man eine Steuererhöhung so deklariert, dass sie mit Begeisterung akzeptiert wird. Höhere Steuern, ja bitte! Wenn ich damit Kindern helfen kann, darf es auch ein wenig mehr sein.

Das muss nicht das letzte Wort gewesen sein. Neue Steuern braucht das Land! Wie wäre es zum Beispiel mit einer „Differenzsteuer“? Wenn ich im Ausverkauf ein Sakko für 50 Euro kaufe, das regulär 150 Euro gekostet hat, spare ich 100 Euro.

Diese Differenz sollte als „geldwerter Vorteil“ besteuert werden. Wie Freiflüge aufgrund von Bonusmeilen. Und mit diesem Geld könnte dann die sieche Solarindustrie unterstützt werden, damit die Energiewende vorankommt.

Ich hätte da noch mehr gute Ideen. Aber nicht jetzt. Es hat gerade an der Tür geklingelt. Hoffentlich ist es kein Mitarbeiter eines Meinungsforschungsinstituts, sondern die Ente süß-sauer, die ich bestellt habe.

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